Hans-Werner Bertl (links), Foto: Daniela Tobias

Wie in vielen deutschen Städten in diesem Sommer gab es auch in Solingen am 4. August 2018 eine Seebrücke-Kundgebung, zu der das Bündnis Solingen ist Bunt statt Braun aufgerufen hatte, um sichere Häfen für in Seenot geratene Flüchtlinge auf dem Mittelmeer zu fordern.

Hans-Werner Bertl sprach für das Bündnis:

„Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, für das Bündnis Bunt statt Braun begrüße ich Sie und sage Danke! Danke dass Sie hier sind!

Am 8. Mai 1949 um 23.55 Uhr haben unter dem Vorsitzenden Konrad Adenauer in der verfassungsgebenden Versammlung, 4 Frauen und 61 Männer in Anwesenheit von 5 nicht stimmberechtigten Vertretern West-Berlins, mit 53 zu 12 Stimmen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. Viele Abgeordnete hatten in der Zeit des Nationalsozialismus unter Verfolgung, Berufsverbot oder Inhaftierungen gelitten. Einige Abgeordnete hatten ins Ausland fliehen müssen, fünf Abgeordnete waren in einem KZ interniert gewesen. Andere blickten auf mehr oder weniger einflussreiche Karrieren während der NS-Zeit zurück. Und dennoch, sie haben sich zusammen gefunden und uns, die wir nach ihnen in Verantwortung für die Menschen in unserem Land und der Erde leben und handeln ein klares Gebot ins Stammbuch geschrieben.

Wortlaut Artikel 1 GG:

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, ich habe den 1. und 2. Absatz des Artikel 1 unserer Verfassung zitiert. Der Artikel 1 des Grundgesetzes ist das einzige Grundrecht, das neben Art. 20 mit einer „Ewigkeitsgarantie“ (Art. 79,3) gesichert ist. Es darf in seinem Kern, auch durch eine verfassungsändernde Mehrheit, niemals geändert werden. Die Würde des Menschen stellt den obersten Verfassungsgrundsatz dar, an dem folglich alle staatliche Gewalt und auch alle Menschen in unserem Land ihr Handeln auszurichten haben.

Wir, Bürgerinnen und Bürger unseres Landes und zugleich Unionsbürgerinnen und Unionsbürger der Europäischen Union sind gemäß unserer Verfassung gehalten – und haben nicht nur das Recht, wir haben auch die Pflicht – diesen Anspruch unserer Verfassung, von den von uns gewählten Vertreterinnen und Vertretern im Bundestag, der Bundesregierung, den Landesparlamenten und Landesregierungen, ja auch unseren Städten und Gemeinden, einzufordern.

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Staaten Europas internationale Verträge geschlossen, mit denen flüchtende und verfolgte Menschen geschützt werden sollen. Seit 65 Jahren gilt die Europäische Menschenrechtskonvention! Seit 1951 ist die Genfer Flüchtlingskonvention in Kraft, ursprünglich erdacht, um das europäische Flüchtlingselend nach dem Krieg zu beenden! Seit 1997 sind die Menschenrechte Teil des EU-Vertrags!

Drei Jahre später schrieben die Europäer ihre Grundrechtecharta nieder! Im kommenden Jahr soll die sogenannte „New Yorker Deklaration“ für Flüchtlinge und Migranten unterzeichnet werden! Darin wollen die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen „den politischen Willen zum Ausdruck bringen, Leben zu retten, Rechte zu schützen und Verantwortung auf globaler Ebene zu teilen“!

Wir, die Bürgerinnen und Bürger Europas, leben in verfassten und parlamentarischen Demokratien. Es ist unsere Pflicht und unsere Verantwortung, von den von uns gewählten Vertreterinnen und Vertretern in allen Parlamenten und Regierungen der Europäischen Union die Einhaltung dieser Erklärungen und der Verfassungsgebote unabdingbar zu verlangen!

Im Billigen der Abschottung Europas begehen wir einen Verrat an den immer wieder beschworenen Werten und demokratischen Errungenschaften unseres Landes und Europas und laden Schuld auf uns.

Zum Abschluss unserer Veranstaltung bitte ich Sie um einen Augenblick der Stille und des Denkens an:

  • Die Verzweifelten, die Hoffenden.
  • Menschen, die auf den Wegen in einen scheinbar besseren Teil der Erde Opfer von Versklavung werden, Opfer von Vergewaltigung werden, Opfer von Ausbeutung und Erniedrigung – auch in Europa – werden,
  • die in der Hitze der Wüsten entsetzliche Qualen erleiden und elendiglich verdursten und das Sterben sehen und selbst sterben,
  • die in den „messerscharfen NATO-Zäunen“ oft schwer verletzt ihre Hoffnungen verlieren,
    die in den Fluten des Mittelmeeres ertrinken,
  • deren Zahlen wir nicht kennen.
  • Wir denken auch an diejenigen, die Diffamierung und Hohn nicht scheuen und helfen,
  • die mit Begriffen wie „Asyltourismus“, „Fluchtindustrie“ und als „Gutmenschen mit humanistischem Tunnelblick“ beleidigt werden,
  • die für die universellen und unteilbaren Menschenrechte einstehen.

Danke dass Sie heute hier waren! Und ich bitte Sie! Wenn wir Sie rufen: Kommen Sie! Menschen brauchen sie!“